Wer um alles in der Welt erhebt den Anspruch, so besonders zu sein, dass er sich aus der Masse abhebt? Ehrlich gesagt sollten wir gar nicht anders sein als mittelmäßig! Der berühmte Schwarm funktioniert nur, wenn wir mittelmäßig agieren. Eine Revolution, eine Wahl, ein Shitstorm, ein Streik – alles das kann erst durch Mittelmäßigkeit gelingen. Wie kommt es dann, dass wir Einzelne uns trotzdem als was Besonderes ansehen? Niemand hat denselben Fingerabdruck, dieselbe Stimme oder, abgesehen von eineiigen Zwillingen, dasselbe Aussehen bzw. dieselbe DNA. Auch unsere Meinungen sind unterschiedlich (wirklich?), Eindrücke, Erfahrung und trotzdem sind wir in allem, was wir sind, Mittelmaß. Es ist mittelmäßig Leggins mit Pumps anzuziehen, mittelmäßig einen Audi zu fahren und mittelmäßig in Starbucks einen Kaffee zu trinken. Mittelmäßig sind Apple-User, Android-Nerds, wer Microsoft nutzt ist sowieso schon dabei. Und dennoch fühlen wir uns, als sind wir etwas Besonderes – warum?
Etwas Besonderes tun oder etwas Besonderes sein?
Es ist der Mensch ansich, das sich zu etwas besonderem macht und gleichzeitig nichts Besonderes ist. Wir sind es, die sich gegenseitig Anerkennung für unser Tun schenken und wir sind es, die diese Anerkennung vor allem in den sozialen Medien spüren. Hier finden wir die Bestätigung dessen, was wir uns erhoffen und wünschen und wir tun einen Teufel dazu, sie zu leugnen. Das wäre gegen unsere wahrgenommene Realität und gegen jeden inneren Antrieb, weiter Besonderheiten zu tun. Doch es gibt einen Unterschied zwischen TUN und SEIN. Ich behaupte, niemand ist etwas Besonderes, es ist nur seine wahrgenommene Realität. Diese ermutigt ihn jedoch, Besonderes zu leisten, was ihn in Augen anderer, zu etwas Besonderem werden lässt. Gleich sind und bleiben wir trotzdem, mittelmäßig eben – und das ist gar nicht mal schlecht!
Jeder kann in seiner Mittelmäßigkeit etwas Besonderes tun – und das tun auch viele. Wir gründen Vereine und helfen Menschen in Not, wir erfinden ungiftige Materialien, lehren Kindern sich in der Welt zurecht zu finden und gar manche, springen sogar vom Weltraum zur Erde. Wären wir alle etwas Besonderes, würden wir solch wunderbare Dinge gar nicht mehr tun müssen. Wenn uns die Welt zu Füßen läge, müsste sich jeder einzelne gar nicht mehr anstrengen, etwas Besonderes zu sein indem er etwas Besonderes tut.
Wir haben so viel Macht in unserer Mittelmäßigkeit, warum sollten wir sie denn leugnen? Wir in der Gemeinschaft schaffen Aufmerksamkeit – erst recht in den sozialen Medien. Wir erleben das im Netz intensiver denn je: Ob als Kunde, als Bürger oder als Arbeitnehmer. Lasst uns darum lieber darauf besinnen, dass wir einzigartig in unserer gemeinsamen Mittelmäßigkeit sind – denn das macht uns stark, jeden Tag das Besondere zu tun.
Bildquelle: derfotoapparat
Hallo Frau Gade,
interessanter Ansatz, den Sie da vorstellen. In vielen Dingen kann ich da auch guten Gewissens zustimmen, aber nicht in allen. Aber widerlegt das Ihre These? So wie Sie es ausführen, eben gerade nicht. Die Mittelmasse ist ja das Entscheidende: Wie in der großen Zahlungspolitik trägt das Mittelmaß die Masse. So ist es -denke ich- auch in jedem einzelnen Mikrokosmos, womit wir dann wieder bei der individuellen Wahrnehmung wären. Wer definiert denn nun, wer aus der Masse herausragt bzw. tut das denn überhaupt einer? Die oft erlebte Tatsche, dass viele Menschen sagen, der/die ragt raus, sagt ja dann trotzdem nix darüber aus, ob dieser Mensch an sich nicht auch „nur“ Mittelmaß ist… Ich glaube, Ihre Frage ist schon rein philosophisch ganz schön knifflig! Ich wünsche rege Kommentare und viele (mittelmäßige) Meinungen, gerne mit der Klärung, warum Mittelmaß oft negativ wahrgenommen/bewertet und damit missverstanden wird. 😉
lieben Gruß
Dirk Duchrow
Indem man das Besondere tut, lässt man das Mittelmass schon hinter sich.
und:
Wer hat in der Geschichte die Menschheit weitergebracht?
Die aus dem Mittelmass „herausragenden“ Menschen!
.
Hallo Bianca,
ich bin nicht so ganz bei Dir. Du hast Recht: Nicht jeder ist ein High Performer und leistet Außergewöhnliches. Und wer entscheidet, was außergewöhnlich ist. Es gibt also durchaus ein Recht auf Mittelmäßigkeit. Was ich jedoch schwerlich akzeptiere, ist Schlampigkeit, Bequemlichkeit und Faulheit. Vielleicht liegt es an der Erziehung, vielleicht an unserer evangelisch-calvinistisch geprägten Kultur, vielleicht an der eigenen Mentalität, aber das Streben nach Qualität ist für mich durchaus ein positives Gut.
Ich mache sicher nicht nur Mitarbeiter für Mittelmässigkeit verantwortlich. Viele sind auch in die innere Migration gegangen, weil es intern im Unternehmen, mit der Führung und mit der Anerkennung nicht oder nicht mehr stimmt. Sie haben sich emotional verabschiedet und es ist “nur noch ein Job”, Das Wort Mitarbeitermotivation ist ja nicht neu, aber in Zeiten von Einsparungen an allen Ecken und Enden fehlen dafür scheinbar heutzutage oft die Mittel und Ressourcen. Das Web 2.0 zwingt uns sicherlich auch in den Unternehmen wieder zum Nach-, vielleicht Umdenken weg vom starren Führungsschema 20 % sind High Performer, 60 % Standard (oder sollte ich Mittelmaß schreiben?) und 20 % gehören am Besten gefeuert ….
siehe auch die Diskussion hier: http://digitalnaiv.com/2012/10/17/de-social-media-und-enterprise-2-0-als-weg-aus-der-mittelmasigkeit-pr-blogger/#comment-497